Hoffnungsduft vom Nichtvergessenkraut
COTTBUS Ein Sträußchen Nichtvergessenkraut wird nicht nur in jenem Text verteilt, der ausdrücklich darauf verweist. 24 Autorinnen und Autoren des Brandenburger Landesverbandes deutscher Schriftsteller versuchen das auf ihre Weise. Zum 20. Geburtstag geben sie eine Anthologie mit neuen Texten heraus: „WIR WAHREN WORTE“.natürlich auch im weltweiten Netz zu finden. Ansonsten aber taucht ein Computer nur in einer der Erzählungen auf. Der Held, der im Internetzeitalter angekommen scheint, scheitert.
In den meisten anderen Texten haben Erinnerungen Vorrang. Was nichts mit Fortschrittsfeindlichkeit zu tun hat. Wie das zu Geburtstagen so ist, und es ist ja immerhin ein 20., wird zurückgedacht an das Erlebte, eben so ein Sträußchen Nichtvergessenkraut verteilt, wie es Ursula Kramm-Konowalow beschreibt, die erzählt, wie ihr kleines Dorf 1989 zum Schachbrett wurde. Erinnerungsfetzen sind in diese Anthologie geraten, die weit zurückreichen. Sie wirken beklemmend mitunter, sparen nicht mit Schuldgefühlen. Unsortiert ein wenig, wie sie eben einem manchmal so in den Kopf kommen können nach vielen Jahren.
Oft verbreitet sich in den kleinen Geschichten aber auch „ein Kilo Hoffnungsduft“, wie es poetisch in einem Gedicht des Hellersdorfers Slov ant Gali heißt. Manchmal werden es auch ein paar Gramm weniger sein.
Da erzählt der Cottbuser Schriftsteller Helmut Routschek, der Altmeister der wissenschaftlich-fantastischen Literatur, wie er, lange vor der Wende, Ossi wurde. Hartmut Schatte, der ebenfalls in Cottbus wohnt, von Haus aus promovierter Pädagoge, schildert lustvoll die Befreiung vom Mief der Einheitspädagogik, die ihm als Anpafobiwi (Anpassungsfortbildungswilligen) zuteil wurde.
Überhaupt treibt es unerhört die Leselust an, wo den Lesern nicht nur ein Spiegel, sondern auch feine Ironie und vor allem Selbstironie angeboten werden. Da frotzelt Schatte über gestopfte rote Socken, wird an anderer Stelle die Toleranz der Gräser beschworen. Der ebenso in Cottbus, aber auch in Zügen wie auf Schiffen lebende Thomas Bruhn entdeckt die Philosophie hinter Silly und betrachtet mit gebotenem Respekt die Schmauchspuren der vergangenen Zeit. Und wieder ist da dieses Gefühl da: Sich weinenden Auges über die Welt lustig machen. Das geht zu Herzen wie so manch anderer Text, sei es über die Annäherung zweier ganz unterschiedlicher Frauen oder einen Weihnachtsabend, an dem ein Sohn mit einem Handy den zerrissenen Faden zu seinem Vater flickt. Und da sind auch diese Nöte einer Frau, die ein drittes Kind erwartet, das so gar nicht in ihr Leben passen will.
Der Spreewälder Harald Lindstädt, der vor allem als Kinderbuchautor bekannt geworden ist, beschreibt, wie leicht es ist, sich von Äußerem blenden zu lassen. Und er findet in der Natur bestätigt: „Menschenfüße stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel.“
Es ist ein schmales Bändchen geworden, mutet wie ein bescheidenes Geburtstagssträußchen an. Nicht alles darin duftet unvergleichlich. Gefüllt ist es aber mit vielen wahren Worten. Das ist die Hauptsache.
Von Ida Kretzschmar
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